Zu Befehl.

Novelette von Paula Kaldewey
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 17.03.1901


„Briefe angekommen, Friedrich?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant, einer! Ich habe ihn auf den Schreibtisch gelegt. —”

Ohne sich Zeit zu gönnen, die vom Dienst bestaubten Kleider zu wechseln, eilte Max von Lüttwitz ins Zimmer. Heute wollte sie ihm ja Nachricht geben, mußte sich sein Schicksal entscheiden.

Richtig, das waren ihre feingeschwungenen, etwas flüchtigen Schriftzüge; unter tausenden hätte er sie sofort erkannt.

In nervöser Hast erbrach er den Umschlag.

„Lieber Max! Ich erwarte Dich heute Nachmittag gegen fünf Uhr in unserem Park, unweit der alten Eiche. Sei pünktlich, denn ich habe Dir wichtiges mitzutheilen und laß nicht vergeblich kommen
Deine Elfriede” — — —

Wenige Stunden später trabte Leutnant von Lüttwitz auf seinem getreuen Braunen dem wohl zwei meilen von der Stadt entfernten Gute des Amtsrath Bendow zu, und mehr wie einmal bäumte sich das edle Thier hoch auf unter den Flankenhieben seines Herrn, der es zu immer größerer Eile antrieb.

Wie oft schon hatten in den letzten Jahren Roß und Reiter diesen Weg zurückgelegt, in lachendem Sonnenschein, unter Regenschauern und bei schneidender Winterkälte „der Liebsten entgegen”, und heute sollte sich der schlanke, junge Offizier die Antwort holen auf das Schreiben, worin er den alten Amtsrath um die Hand seiner Tochter gebeten. —

„Elfe!”

Mit einem Satz sprang der Reiteroffizier aus dem Sattel und eilte auf die Geliebte zu, die sich mit raschen Schritten der verabredeten Stelle näherte.

„Guten Tag, Max,” kam es zögernd von den hübschen Mädchenlippen. „Ich danke Dir, daß Du gekommen bist.”

„Elfe, was heißt das? Sollte ich vielleicht auf mich warten lassen, dort, wo jede Fiber meines Herzens mich hinzieht, wo meine Gedanken weilen Tag und Nacht,” erwiderte vorwurfsvoll der junge Mann, während er versuchte, die Geliebte an sich zu ziehen.

Doch mit sanfter Geberde wehrte diese ihm ab:

„Laß das, Max, Du hast kein Recht darauf, denn,” kam es leise, fast tonlos von ihren Lippen, „seit gestern Abend bin ich die Braut eines Andern!!”

Ein Schrei des Schmerzes war die einzige Antwort. Der starke Mann taumelte.

Verrathen! Verrathen von der, die er mehr liebte, als Alles auf der Welt. Und die Sonne schien noch am Himmel, das Leben ging seinen Gang?

„Max, höre mich an, ehe Du mich verurtheilst!”

Eine sanfte Hand versuchte die seine zu streicheln und aufblickend gewahrte er zwei todestraurige Augen, die mitleidheischend ihn anflehten.

„Ich höre,” klang es dumpf zurück.

War das die Stimme des lebensfrohen, jungen Offiziers, die eben noch so glücklich geklungen?

„Du weißt, Max, daß meine Eltern schwer unter der Hypothekenlast seufzen, mit der unser Gut belastet ist, dazu neun Kinder, die alle mehr oder weniger auf vaters pekuniäre Hilfe angewiesen sind. Da — mitten in diese schier übergroßen Sorgen und Verpflichtungen — trifft ein Schreiben des Hauptmann Sanders — derselbe, der im letzten Manöver bei uns im Quartier lag — an mich ein, worin er mich beschwört, die Seine werden zu wollen, da er ohne mich nicht leben könne.”

„Irre ich nicht,” heißt er ja wohl „der reiche Sanders” im ganzen Regiment,” warf der Zuhörer ein.

Doch als hätte sie den spöttischen Ton dieser Bemerkung nicht vernommen, fuhr die junge Dame ruhig fort:

„Allerdings ist er sehr reich. Trotzdem wäre das niemals bestimmend für mich gewesen, ihm meine Hand zu reichen, wenn ich nicht hinreichend Gelegenheit gehabt hätte, ihn als einen Mann von durchaus vornehmer Gesinnung, den ich in jeder Beziehung hochschätze, kennen zu lernen, und wenn ich vor Allem nicht die gänzliche Aussichtslosigkeit unserer Wünsche einsehen — mußte. Und ich versichere Dir, ohne die flehenden Bitten meiner Eltern wäre ich ledig geblieben im Hinblick auf Dich, der mir theurer war als Menschenmund es auszusprechen vermag. Auf eine Vereinigung mit Dir konnte ich niemals rechnen; der arme Leutnant und das arme Mädchen, die paßten schlecht zusammen. Wenn Du nun aber die Hoffnungsfreudigkeit und Zuversicht meines alten kranken Vaters gesehen hättest, als er mich bat, dem Antrage jenes Ehrenmannes Gehör zu schenken, da — in jenem Augenblick — da würdest Du mich verstanden haben, warum ich einwilligte, die Braut des Hauptmann Sanders zu werden. Die Nacht, die ich dann durchlebte, in der ich im Geiste von Dir schied, sie war die schwerste meines Lebens. Ich habe meine eigenen Wünsche und Hoffnungen zu Grabe getragen und doch, mein Max, — laß mich Dich noch einmal so nennen — bereue ich nicht, was ich gethan. Gieb mir Deinen Segen mit auf den Weg, den ich jetzt wandeln will und wenn Du glücklich bist im Leben, dann denke immer, daß es meine Gebete sind, die dieses Glück für Dich erflehen!”

Bittend streckte Elfriede dem jungen Offizier die Hände entgegen.

Einen Augenblick kämpfte dieser mit sich, dann beugte er sich zu der Geliebten nieder, drückte einen leisen Kuß auf ihre weiße Stirn und flüsterte: „Elfe, Du hast recht gethan, Du bist eine heilige! Gott schütze Dich!”

*           *           *

Jahre sind dahingegangen. Max von Lüttwitz hat seinen süßen Herzenstraum überwunden. Wohl war es ihm anfangs nicht leicht geworden, doch als er bald darauf in ein anderes Regiment kam und neue Eindrücke in ihm Platz griffen, verschwand mehr und mehr das Bild der einst so Heißgeliebten. Ja, das Glück, das ihm untergegangen war, es loderte eines Tages wieder in hellen, lichten Flammen auf, als er das liebliche Töchterchen des Landraths kennen lernte, das zum ersten Mal den Kasinoball besuchte und dessen Herz gleichfalls dem stattlichen schönen Offizier entgegenschlug.

Und als es Herbst geworden, da hatte der inzwischen zum Oberleutnant beförderte Max von Lüttwitz sich das Jawort der blonden Käthe geholt, ehe er nach Berlin zur Kriegsakademie ging, nach glänzend bestandenem Examen. Allerdings mußten die beiden jungen Menschenkinder ihr Glück noch heimlich mit sich herumtragen, denn der gestrenge Landrath wollte nichts davon wissen, sein einziges Töchterlein jetzt schon hergeben zu sollen. —

Mit Eifer kam der junge Offizier seinen Dienstobliegenheiten nach; geselligen Verkehr suchte er nicht, denn die wenigen Mußestunden, die ihm im Laufe des Tages übrig blieben, füllte er aus mit Briefschreiben an seine geliebte Käthe.

Wie erstaunte er daher, als ihm eines Morgens der Bursche ein Briefchen überbrachte, mit ihm nur zu wohl bekannten Schriftzügen. Obwohl jahrelang nicht gesehen, wußte er doch sofort, wem diese feingeschwungenen Linien eigen waren. Ihr, die er einst so heiß geliebt! Und jetzt, fast wunderte er sich über sich selbst, mit welcher Seelenruhe er das Kärtchen betrachtete. Es kam ihm schier unbegreiflich vor, daß es eine Zeit gegeben, wo ein solches Zeichen ihm das Herz höher schlagend machte.

Langsam öffnet er den Umschlag und liest:

„Major Sanders und Frau würden sich freuen, Herrn Oberleutnant von Lüttwitz bei sich begrüßen zu können.”

Heute war Sonntag, also eine gute Gelegenheit zum Besuchmachen. Das Adreßbuch gab Auskunft und wenige Minuten vor 1 Uhr stand Max in Chapka und Epauletten vor dem stattlichen Hause in der Lanfgrafenstraße.

„Die Herrschaften zu Hause?” fragte er den die Thür öffnenden Burschen.

„Der Herr Major sind ausgegangen, die gnädige Frau anwesend.”

„So melden Sie mich!”

Wenige Minuten und sie standen sich gegenüber, die beiden Menschen, die sich Alles im Leben gewesen.

„Meine gnädigste Frau.”

„Mein lieber Herr von Lüttwitz, wie freue ich mich, Sie wiederzusehen.”

Prüfend glitt sein Blick über sein Gegenüber. Noch schöner, strahlender war sie geworden während der verflossenen Jahre und doch blieb sein Herz so ruhig wie bei jedem anderen gleichgültigen Menschen.

„Leider ist mein Mann ausgegangen. Hätte er ahnen können, daß Sie unserer Bitte so schnell willfahren würden, fehlte er jetzt sicherlich nicht.”

„Und wie ist es Ihnen ergangen, meine gnädigste Frau?”

„Gut, Herr von Lüttwitz, so gut, wie es nur einem Menschen ergehen kann, der recht von Herzen glücklich ist. Und das bin ich geworden; was ich niemals zu hoffen gewagt, ist dennoch geschehen, mein ganzes Denken und Sein gehört dem geliebten Manne, der mich auf Händen trägt. Wenn aber trotzdem etwas im Stande ist, einen Schatten auf mein Glück zu werfen, so ist es der Gedanke, daß Sie, mein lieber Freund, noch immer einsam geblieben sind. Glück giebt nur die Liebe, ich habe es erfahren und erfahre es täglich neu in reichstem Maße. Darum erfüllen Sie meine herzliche Bitte: Verloben Sie sich! Erst wenn dies geschehen, bin ich wunschlos glücklich!”

Mit Mühe unterdrückte Max ein Lächeln, während er aufsprang und ehrfurchtsvoll mit den Lippen die Hand seines reizenden Gegenübers berührte:

„Meine gnädigste Frau, Ihr Wunsch ist mir jederzeit Befehl! Binnen heute und acht Tagen liegt Ihnen meine Verlobungsanzeige zu Füßen.”

Kopfschüttelnd blickte Elfriede ihm nach. Zu einer Antwort war ihr keine Zeit geblieben, so schnell hatte Max das Zimmer verlassen.

*           *           *

„Rathe, Liebling, was ich hier in der Hand halte?”

Mit diesen Worten trat Major Sanders, acht Tage nach der eben erwähnten Unterredung, in das Zimmer seiner Gattin.

„Du weißt, ich kann nicht rathen! Also, was ist's?”

„Lüttwitz' Verlobungsanzeige. Gleichzeitig schreibt er, daß er binnen einer Stunde kommen wolle, sich unsere Glückwünsche selbst zu holen.”

„Wenn ich's nicht Schwarz auf Weiß sähe, würde ich diese Botschaft sogar meinem Herzensmann nicht glauben.&rdquo,

Strahlend vor Glück stürmte Max eine Stunde später in das Zimmer.

„Sind Sie nun mit mir zufrieden, meine Gnädigste?”

Die schöne Frau drohte ihm schelmisch lächelnd mit dem Finer:

„Alter Freund, ich traue Ihnen allerhand zu; Sie haben ja von jeher die schwierigsten Dinge mit Leichtigkeit vollbracht. Aber wie Sie meinem Befehl so schnell Folge leisten konnten, das bleibt mir bis zu diesem Augenblick ein Räthsel, auf dessen Lösung ich unendlich gespannt bin.”

Und bei einem Glase alten Johannisbergers berichtete der glückliche Bräutigam, wie er den gestrengen Herrn Landrath zu bewegen gewußt habe, das Seine dazu beizutragen, danit sein zukünftiger Schwiegersohn das einmal gegebene Versprechen pünktlich einlösen könne.

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